Die „Alte Münze“
Anmerkungen zur Geschichte eines neuen Kulturstandortes
im historischen Zentrum von Berlin
Der heute „Alte Münze“ genannte Gebäudekomplex ist Teil einer zwischen 1936 und 1942 von Fritz Keibel und Arthur Reck errichteten Münzprägeanstalt. Architektur und Nutzung des Areals spiegeln wesentliche Einschnitte in der deutschen und Berliner Geschichte der letzten 75 Jahre wider – vom Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg über die Teilung der Stadt, die friedliche Revolution und Wiedervereinigung bis hin zu aktuellen stadtpolitischen Diskussionen. Das Gebäude steht damit sinnbildlich für Kulturgeschichte und Kulturpolitik der Stadt Berlin.
Propaganda, Zweiter Weltkrieg und Zerstörung von Kunstschätzen
Die Planung und Architektur des Gebäudekomplexes geht auf die von den Nationalsozialisten 1934 inszenierte und propagandistisch genutzte Umgestaltung der Berliner Altstadt zurück. Aus dem zeitgleich erlassenen Gesetz zur Zusammenführung der sechs dezentralen Münzproduktionsstätten zur sogenannten Reichsmünze an einem Ort ergab sich die Größe des Gebäudes. Um für den geplanten „Neubau der Münze“ Platz zu schaffen, wurden ab 1935 zahlreiche historisch bedeutende Gebäude zwischen Molkenmarkt und Spree abgerissen. Auch wenn das Gebäude aufgrund des Kriegs nicht fertiggestellt wurde, ließ man hier unter improvisierten Bedingungen die Reichsmark prägen.
Im Frühjahr 1939, wenige Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, bereiteten sich die verantwortlichen Mitarbeiter der Berliner Museen auf die Bombardierung Berlins vor. Die Bauleitung des damals noch nicht fertiggestellten „Neubaus der Münze“ schätzte die Tresore des Gebäudes als besonders sicher ein. Doch ein Großteil der hier ab 1939 eingelagerten Berliner Kunstschätze verbrannte nach einem Bombenangriff im März 1945; weitere wurden durch Löschwasser zerstört.
Wenige Monate später trafen Alliierte auf deutschem Boden und auch in Berlin aufeinander, um den von Deutschland entfachten Zweiten Weltkrieg zu beenden. Die im Zentrum Berlins stationierten sowjetischen Truppen transportierten die in den ausgebrannten Tresoren noch erhaltenen Kunstwerke in die Sowjetunion ab. Im Jahr 1947 ordnete der sowjetische Stadtkommandant an, die Münzproduktion der damals noch gemeinsamen Währung vor Ort wieder aufzunehmen.
Teilung Berlins, DDR-Mark und Ministerium für Kultur
Mit dem Gebäudekomplex ist eines der bedeutenden Ereignisse des Kalten Kriegs verbunden: die Einführung einer neuen Währung in den westlichen Besatzungszonen und im Westsektor Berlins am 21. Juni 1948. Daraufhin blockierten sowjetische Truppen nur drei Tage später die Zufahrtswege nach West-Berlin. Die Westalliierten versorgten den Westteil der Stadt nun über eine Luftbrücke (bis zur Aufhebung der Blockade im Mai 1949). Im Rahmen der nur einen Monat später in der sowjetischen Zone und Ost-Berlin durchgeführten Währungsreform begann in der Münze am Molkenmarkt die Münzproduktion. Hier wurde sie auch nach Gründung der DDR 1949 durch den VEB Münze Berlin bis 1990 weitergeführt.
Im Jahre 1954 wurde das Ministerium für Kultur der DDR geschaffen und bezog seinen Sitz im Verwaltungsgebäude am Molkenmarkt und am Mühlendamm. Damit vollzog sich eine funktionale Teilung des Gebäudekomplexes – von nun an wurden hier nicht nur Münzen geprägt, ein Teil des Hauses diente der Umsetzung der kulturpolitischen Leitlinien im sozialistischen Deutschland.
Friedliche Revolution, Wende und Abwicklung der DDR
Auch die friedliche Revolution und die Wende haben sich in den Gebäudekomplex eingeschrieben. Denn bereits im Juli 1990, vor der offiziellen Wiedervereinigung im Oktober, prägte der ehemalige VEB Münze der DDR im Auftrag der BRD die D-Mark. Zeitgleich dienten die Keller als Lager für Kunstwerke des damals im Untergang befindlichen Staats. Der letzte Kulturminister der DDR hatte dazu aufgerufen, die sozialistischen Kunstwerke zusammenzutragen. Sie bilden den Grundstock des heutigen Kunstarchivs Beeskow, das sich mit seinen 23.000 Objekte als Dokumentationsstelle zur bildenden Kunst in der DDR versteht.
Mit der Wiedervereinigung wurde die zu DDR-Zeiten eingeführte funktionale Teilung des Komplexes in Eigentumsrecht überführts. Denn das Bundesinnenministerium, das mit der Auflösung des Ministeriums für Kultur der DDR beauftragt war, beanspruchte dessen Gebäudeteile für sich. So gingen die Verwaltungsgebäude am Molkenmarkt und am Mühlendamm in das Eigentum des Bundes über. Die andere Teile hingegen, die seit dem Zweiten Weltkrieg der Münzproduktion dienten, sind bis heute im Besitz des Landes Berlin: die Durchfahrt vom Molkenmarkt in den Hof, das ausgedehnte Sockelgeschoss, verschiedene Tresore sowie das Werkstatt- und Wohngebäude an der Spree.
Europa, der Ausverkauf der Stadt und der neue Kulturort
Auch die letzte große politische Veränderung, die Einführung des gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraums, hinterließ Spuren in dem Gebäudekomplex. Denn seit der Einführung des Euro als Bargeld am 1. Januar 2002 wurden vor Ort Euro-Münzen geprägt, bis die Staatliche Münze Berlin 2005 an ihren neuen Standort in Reinickendorf umzog.
Seit 2009 sind die Flächen des Landes Berlin in einer Zwischennutzung an Unternehmen der Kreativwirtschaft vermietet. Diese gaben den von ihnen genutzten Gebäudeteilen zur besseren Vermarktung den historisch wenig korrekten Namen „Alte Münze“, der sich im Laufe der Zeit eingebürgert hat.
Heute steht der Ort im Zentrum aktueller stadt- und kulturpolitischer Diskussionen. Denn dem Land Berlin stehen aufgrund des Verkaufs landeseigener Immobilien seit den 1990er-Jahren kaum mehr Entwicklungsflächen in der Innenstadt zur Verfügung. Auch die Kunst- und Kulturschaffenden – wichtige Triebfeder der Attraktivität der Stadt – sind auf der Suche nach preiswerten Arbeits- und Präsentationsräumen unter Druck geraten. Im Rahmen der neuen Liegenschaftspolitik wurde daher der Verkauf des Gebäudes an einen privaten Investor im Jahre 2013 gestoppt. Nun soll es in Landesbesitz verbleiben und für eine kulturelle Nutzung verfügbar gemacht werden.
Das Berliner Abgeordnetenhaus und der Berliner Senat fassten 2018 den Beschluss, die Gebäudeteile zu sichern und in einem partizipativen Verfahren zu einem Kulturstandort zu entwickeln. In Vorbereitung auf diesen Prozess, der am 12. Februar beginnt, hat das Kurationsteam von Eberhard Elfert und Katharina Wolf zusammen mit der Grafikerin Angela Peter und dem Fotografen Mejdi El Bekri die Ausstellung „Molkenmarkt 1, Annäherung an einen neuen Kulturort im historischen Zentrum von Berlin” erstellt. Sie wurde vom 20.11.2018 bis zum 3.12.2018 vor Ort gezeigt.
Eberhard Elfert, Februar 2019